Diese Frage stelle ich mir seit vielen Jahren, und es werden immer mehr (Jahre, Fragen aber auch) – inzwischen sind es bereits 47 (also Jahre), unglaublich. Für die Beantwortung dieser speziellen Frage nehme ich mir die neue Intendantin des Theater Konstanz zum Vorbild: sie hat sich über das definiert, was sie gut findet, und das wiederum fand ich gut. Ich nehme an, es ist eine recht etablierte Methode, die ich mir zu eigen machen darf, ohne dafür bezahlen zu müssen; falls es sich anderweitig verhält, bitte ich diesbezüglich um sachdienliche Hinweise.
Mit sechzehn oder siebzehn, vielleicht auch mit fünfzehn, habe ich mich rettungslos in Barbra Streisand verliebt, und man kann sagen, dass sich daran, trotz der inzwischen unzweifelhaft riesigen Zeitspanne, nichts geändert hat. Ihre Art, Lieder zu interpretieren, ist eine schlichtweg nie versiegende Quelle der Inspiration für mich, ebenso ihr kolossaler Stimmumfang und ihr wunderbares Charisma. Als ich jünger war, fand ich John Wayne und Errol Flynn großartig, ersteren, weil er so cool, letzteren, weil er so flink und engagiert war, und ich nehme an, ich wollte von beiden etwas, cool sein und engagiert, oder zumindest doch flink. An beidem arbeite ich noch immer, ein Ende ist nicht abzusehen, besonders, was die coolness betrifft. Jedenfalls erinnere ich mich an glückliche Fernsehabende mit meinem Vater, Johna Wayne, Errol Flynn und meiner großen Schwester, die mich langfristig irgendwie gleichzeitig beruhigt und inspiriert haben.
Kirchen sind mir eine riesige source of inspiration; wieviel Zeit, und glückliche Zeit, habe ich als Kind und Jugendliche (und auch weiterhin) in Kirchen verbracht, in großen und kleinen, in Dorfkirchen und Stadtkirchen, kleinen Kapellen und später im Kölner Dom, letzthin in der Lorettokapelle in Konstanz und im Ulmer Münster. Nach oben hin stets viel Platz, das brauche ich wie die Luft zum Atmen, das gibt mir Ruhe und Ideen und Trost und Geborgenheit und lässt meine Gedanken fliegen, Orgelmusik kann da auch hilfreich sein, ebenso wie liturgischer Gesang. Wie froh war ich, als ich las, daß Kurt Weill, dessen Vater ein jüdischer Kantor war, als Kind oft dabei war, wenn der Vater übte, probte, sang und spielte und mehrfach darauf hinwies, dass diese Musik ihn mit geprägt und beeinflusst hat.
Ich brauchte aber, vor allem als Jugendliche, später auch, den Gegensatz dazu fast genauso dringend, die Hast der Stadt, die Rastlosigkeit durchtanzter Nächte, das Suchen unter den Menschen, zerwühlte und fragende Kneipennächte, am besten war es, früh am Morgen heimzukommen und dann direkt zum Gottesdienst zu gehen, das schien mir die rechte Lebensfülle, dieser Gegensatz hat mich tief beglückt und tut es noch.
Ich bin also eine alte Protestantin, gleichzeitig hat aber der hohe Raum und die Musik mich weit fortgeschickt von der Kirche (obwohl sie natürlich eigentlich tief verbunden sind), nämlich zum Theater, und tatsächlich gibt es klassisch nicht sehr viele Kirchgänger unter den Kollegen, was natürlich mit gewissen Strömungen und Prägungen zu tun hat, über die zu schreiben hier definitiv den Rahmen sprengen würde (die ich aber mit großer Aufmerksamkeit verfolge, die mir auch nicht fremd sind, einige zwar, aber ich kenne sie und weiß um sie, manche verstehe ich besser, andere weniger gut. )
Ich liebe die Gegensätze, ich suche sie, sie inspirieren mich, ich liebe und brauche Ambivalenz, sie ist wie Lebensbrot, wie Ambrosia, die Spannung, die sie erzeugt, ist, ja, mein täglich Brot, literally.
Über viele Wege und Umwege bin ich am Rose Bruford College gelandet und habe dort die Schauspielschule besucht. Mein phantastischer Schauspiellehrer David Shirley, hat den für mich grandiosen Satz gesagt: Celebrate the contradicitions; aus diesem Satz ist mein erster Kurt Weill Liederabend DER RAUSCHENDE GESANG DER STERNE geworden. Welches Stück war es? Ich kann mich nicht erinnern – aber jemand fragte, im Szenestudium: 'Ja, aber wenn sie (wer war es bloß, ich erinnere mich nicht, welches Stück es war) ihn so liebt, wie kann sie ihn gleichzeitig verlassen wollen?', und David Shirley antwortete: Celebrate the contradicitions!, und dann hat er natürlich noch andere Sachen gesagt. Aber diesen Satz habe und werde ich nie vergessen. Genau in dieser Spannung, im Wollen und Nichtwollen, im Sehnen und Nichtsehnen, in der Zuwendung im einen und der Abwendung im anderen, in der Spanne dazwischen und in der Differenziertheit, die es braucht, um die ambivalenten Gefühle zu verstehen, da liegt das Drama. Ambivalenz ist Dramatik.
Die, die mich darauf hingewiesen hat und deretwegen ich überhaupt das ganze Leben wenigstens ein bisschen angefangen habe zu verstehen, auch, wenn da noch viel, viel Arbeit zu leisten sein wird, ist meine beste Freundin, Insa, die mir sozusagen den Kopf geöffnet und mir irgendwie klargemacht hat, daß es ok ist, viele ganz entgegengesetzte Dinge gleichzeitig zu denken, und daß es nicht nur ok, sondern notwendig ist. (Weshalb es mich so verzweifelt macht, und das ist nicht übertrieben, dass offenbar bei bestimmten politischen Positionen Differenziertheit nicht möglich ist, aber ich mache jetzt keine laienhaften politischen Analysen, das machen schon genug andere, und es gehört auch nicht hierher. Aber rufen Sie gern deswegen an. Ich bin sehr, sehr für Fragen, und auch für Streiten, und für Auseinandersetzen und Suchen und Verstehenwollen. Ich bin nur gegen eins, und zwar gegen Gewalt; die ängstigt mich.)
Wie Martin Buber so wunderbar sagt, „alles wirkliche Leben ist Begegnung“, und am Theater sind die Menschen, mit denen man arbeitet, das Wichtigste, denn ohne sie ist kein Theater möglich. Am allermeisten schätze ich an den Menschen Loyalität; da diese es schwer hat am Theater, liebe ich die Loyalität (und das unbestechliche Form – und Stilgefühl) einer Regisseurin wie Nada Kokotovic; dazu schätze ich die intellektuelle Weit – und Vorsicht eines Stephan Suschke, die Verspieltheit eines Bernhard Stengele, die Weisheit und Verwundbarkeit eines Oliver Vorwerk, den sinnlichen und gnadenlosen Humor eines Tony Dunham, um nur einige Lieblingsregisseure zu nennen. (Ich meine immer die Frauen, und die Männer, und alle!) (Nicht so sehr stehe ich auf optimierte und durchgecoachte Regisseure, aber da nenne ich jetzt mal lieber kein Beispiel (ich könnte es.). Da sind mit die alten Haudegen lieber, da weiß ich wenigstens, woran ich bin, aber auch da nenne ich jetzt lieber mal kein Beispiel, und da kenne ich auch leider nicht so viele persönlich.)
Lieblingsschauspielkollegen und Musik – und Ausstattungskollegen habe ich zu viele, und ich kann sie unmöglich alle aufzählen. You know who you are. Ich habe auf jeden Fall einen erklärten Lieblingsdramaturgen, den ich unter anderem für seine intellektuelle Brillanz, seine Herzenswärme und seine kluge Sachlichkeit schätze, aber das ist ok, denn er ist mein Mann.
Und noch ein paar Lieblingssätze, die ich im Laufe der Zeit aufgeschnappt habe (die meisten von Tony Dunham) und nun relentlessly benutze: Talent ist Interesse. Celebrate the contradictions. God is in the detail. Content dictates form. You can't win them all. Choose your battles. (Thank you, Tony Dunham!!).
Und: Am liebsten singe und spiele ich gleichzeitig; richtig cool wird es, wenn man das auch noch selber zu inszenieren versuchen darf (wie gerade bei IT MUST BE LOVE, s. 'aktuell'.)
Und, Leute: lest alles von Milan Kundera! Alle Romane, und auch die Essays. PLEASE.