Wissen Sie, ich lebe erst seit kurzem in dieser Stadt. Viele Dinge kenne und weiß ich noch nicht. Das müssen Sie wissen, bevor Sie weiterlesen.
Ich habe das Glück, in einer Straße zu leben, die direkt neben einem verwunschenen Ort liegt. Lag. Dieser Ort war geheimnisvoll und wunderschön. Voller alter Bäume. Ein ruhiger Ort. Man konnte ihn nicht betreten, das war ok. Ruhe strahlte er aus, Weisheit fast; Stille machte sich breit, wenn man in der Nähe stand. Schatten und Licht spielten. Die Luft war gut, trotz all der Autos in der Straße davor. Ein Juwel. Ein besonderer Ort. Direkt am See. Platz für Vögel, für Wildtiere, deren Lebensraum, wie wir alle wissen, immer enger wird, sie können nirgends hin, wir wissen es, wenn ihr Lebensraum zugebaut wird. Es wurde sehr viel zugebaut, es wird immer noch viel zu viel zubetoniert, weggerissen, zerstört, weil Leute Grundstücke kaufen und bebauen, weil sie damit Geld verdienen.
Diese Stadt, in der ich leider erst seit kurzem lebe, ist sehr schön, und es leben viele Leute dort, und viele Leute kommen – wenn nicht grade Coronakrise ist – zu Besuch. Nun ist es aber – das meine ich zu beobachten – so, dass die Leute kommen, weil in dieser Stadt der See liegt; dieser See ist wie ein Versprechen, dass etwas in Ordnung ist mit dieser Stadt. Sehr oft stehen Menschen an diesem See und schauen in die Weite; sie genießen die Ruhe; sie suchen eine Art Frieden hier. Mir scheint es, dass diese Ruhe und diese Schönheit eine ganz besondere Qualität haben, die dieser Stadt ihre Unverwechselbarkeit gibt; deshalb möchte man hier leben, deshalb möchte man hierher zu Besuch kommen.
Auch Plätze wie dieser verwunschene Park sind – waren - konstituierend für diese besondere Qualität. Für diesen Zauber. Nun gibt es Leute, die das Ufer verschandeln, hier am See; sie lassen ihren Müll, ihre Flaschen, ihren Dreck zurück, ihre benutzten Taschentücher, ihr Essen. Sie zerstören den Zauber dieses Ortes, und es ist mir ein großes Rätsel, warum sie das tun, denn sie sind ja des Zaubers wegen gekommen. Warum zerstören sie ihn dann?
Und dann gibt es Leute, die verantwortlich sind für die Entscheidungen, wie mit Plätzen wie dem von mir beschrieben Grundstück – dem verwunschenen Ort - verfahren werden soll. Was mit Orten, die dieser Stadt ihrem Zauber geben, geschehen soll. Und sie haben nun tatsächlich entschieden. Und sie haben die Bäume gefällt, das Land zerrissen und Lebensräume zerstört. Es soll ein großes Hotel gebaut werden, ein Luxushotel. Es ist viel Geld im Spiel; darum wird es so gemacht. Gleichzeitig wird täglich von überall her geschallt, jeder Baum, jeder Strauch, bringt uns Sauerstoff. Ohne Sauerstoff können wir nicht leben. Die Klimazerstörung schreitet voran; große Demonstrationen werden organisiert, Tausende von Menschen gehen auf die Straße; Politiker tarnen sich als Klimaschützer. Und vor der Straße, in der ich lebe, spielt sich – zeitgleich - diese Tragödie ab. Ein Grundstück, das lange Zeit wie verwunschen war, wird zerstört und bebaut. Jetzt. In dieser Zeit. In der wir alle wissen und täglich gesagt bekommen, wie wichtig Klimaschutz ist. In der wir gesagt bekommen, stellt Blumen auf euren Balkon, damit die Bienen zu essen haben, wird vor meiner Haustür, buchstäblich, ein riesiges Areal plattgemacht. Es gibt Bücher, die beschreiben, wie gefährlich so etwas für die Menschen ist.
Es gibt Menschen, die seit vierzig Jahren – seit vierzig Jahren – darum gekämpft, gebangt, gestritten haben, dass aus diesem Grundstück ein großzügiger Park für die Bürger wird. Dass man alles unternehmen muss, um das zu verwirklichen. Dass dafür Geld auszugeben sich wirklich lohnte. Für die Zukunft. Für das Klima. Für das Wetter. Für die Tiere. Für die Pflanzen. Damit letztlich für uns, die Menschen. Und nun, wo die Not am höchsten ist, wo alle Welt das schreit, wo Urwälder abgeholzt werden gegen alle Vernunft, wider alle menschliche Vernunft, wird die Entscheidung gefällt (gefällt), auch dieses Grundstück einzuebnen und zu bebauen. Es ist mir rätselhaft. Es ist mir so rätselhaft und es bedrückt mich derart, dass ich nachts wach liege. They paint paradise and put up a parking lot. Mir wurde gesagt – stimmt das? - dass in den letzten 14 Jahren hier in Konstanz 14 Hotels gebaut wurden. Es gibt eine Hotelruine, die nicht fertig gebaut wurde, wurde mir gesagt. Es gibt, das habe ich gehört, ein großes Gebäude am Seerhein, das nicht so genutzt wird, wie man es nutzen könnte, das aber ungeheuer viel Geld kostet. Warum nicht das Luxushotel dort hinein? Dann muss man keine Bäume fällen, keinen Boden zerstören, das Gebäude gibt es ja schon. Wie kann es sein, wie kann es möglich sein, dass in diesen Zeiten etwas so Unzeitgemäßes geschieht? Wenn sogar einer der Entscheidungsträger selbst ein Buch geschrieben hat, in dem er auf die Gefahren eines solchen Geschehens hinweist, und zwar mit beachtlicher Dringlichkeit? Wie kann es sein, wie kann es möglich sein, dass der Vernunft so bodenlos in die Fresse geschlagen wird und mit ihr den Menschen, die sich seit Jahrzehnten für diese Vernunft einsetzen? Für den Erhalt von Lebensräumen? Wie kann es sein? Ich kann es mir nicht erklären. Geld. Geld, ja, Geld spielt eine Rolle. Aber eine Stelle wie das Hörnle – eine große große Spende, wie ich hörte. Die Person, die diese Spende vollzogen hat, wird geliebt, für immer. Sie hat etwas Großartiges getan. Hätte sich kein Spender – oder viele, vielleicht 2000 Spender, in dieser Stadt, mit Hilfe dieser Stadt!, zusammentun können, um einen Park für die Bürger aus diesem Ort zu machen? Hätte man nicht unermüdlich, Tag für Tag, dafür streiten müssen, mit brennendem Herzen, diesen Ort zu bewahren? In Zeiten, in denen der Regenwald in apokalyptischer Weise abgeholzt wird, und wir wirklich nicht mehr wissen, wie unsere Kinder und Kindeskinder leben können auf diesem zugebauten, zugemüllten Planeten? Warum dann nicht das Juwel vor der eigenen Haustür erhalten, for God's sake? Einige wenige haben es versucht, jahrzehntelang. Zu wenige.
Es ist mir ein Rätsel. Es ist mir ein unbegreifliches, unheimliches Rätsel. They paint paradise and put up a parking lot – tatsächlich, immer noch? Trotz allem? Und etwas sehr Wertvolles, in vielen Jahren Gewachsenes, was Ruhe, Gesundheit, Schönheit verströmte, ist unwiederbringlich verloren. Damit ein paar Leute einige Jahre lang etwas Geld damit verdienen? Wo ist die Angemessenheit? Wo ist die Logik darin, die Vernunft?
Das ist nicht mehr zeitgemäß, es ist unserer Zeit nicht mehr gemäß. Und wenn wir das nicht begreifen, dann gnade uns Gott.
Zur Veranschaulichung empfehle ich, wenn die Maschinen angeworfen sind und die Hässlichkeit und der bohrende Lärm des Bauens wieder eingesetzt haben, die Lektüre des Buches 'Ausgegeizt' von Uli Burchardt, nur die Seite 4. Das reicht schon. Sie werden verstehen, was ich meine.
Es ist mir ein Rätsel. What am i gonna tell my son? Ich habe mich nicht an die Bäume gekettet, I am not that kind of girl. Schade. Ich hatte den Mut nicht. Schade.