Regie: Rosamund Gilmore
Musikalische Leitung: Tobias Schwencke
Choreographie: Christina Menne
Ausstattung: Carl Friedrich Oberle
Dramaturgie: Daniel Grünauer
Regieassistenz und Abendspielleitung: Stefan Eberle, Nicole Greue
Fotos: Björn Jansen, Konstanz
mit: Anne Simmering, Katrin Huke, Ingo Biermann, Arlen Konietz, Ralf Beckord, Peter Posniak, Peter Cieslinski, Aloysia Astari, Nike Tiecke, Lydia Roscher, Moritz Weber-Jänichen, Patrick Miller, Katharina Stehr, Lena Kolb, Boris Griener, Jens Weber, Devin Maier, Klaus Schiemann
MUSIK: Frank Denzinger, Benjamin Engel, Christian Kramer, Arpi Ketterl, Rudolf Hartmann, Carlo Schöb, Stefan Gansewig, Christian Kramer, Michael T. Otto, Johannes Bär, Andreas Reif
Es ist natürlich kein Zufall, dass das Konstanzer Theater das Musical „Cabaret“ auf den Spielplan gesetzt hat. Die Handlung spielt in der Weimarer Republik, nicht lange vor der Machtergreifung durch die Nazis. Das Stück passt aber auch sehr gut in eine Zeit, in der Menschen nach einfachen Antworten suchen und Populisten sie ihnen geben – und so die Gesellschaft in Lager spalten.
Private Bekenntnisse werden politische Entscheidungen
„Wenn du nicht dagegen bist, bist du dafür“, sagt der amerikanische Schriftsteller Cliff Bradshaw (Arlen Konietz). Ende der Zwanzigerjahre kommt er nach Berlin und lernt dort die Nachtclubsängerin Sally (enorme Bühnenausstrahlung: Anne Simmering) kennen.
Auch Cliff war lange Zeit nicht dagegen und hat die krummen Geschäfte des Parteimitglieds Ernst Ludwig (Peter Posniak) ignoriert, ja, sich sogar selbst als unverdächtiger Geldbote einsetzen lassen. Aber irgendwann zieht er die Reißleine, will zurück nach Amerika und die schwangere Sally dorthin mitnehmen.
Die aber ist weiterhin "nicht dagegen". „Politik – was hat das mit uns zu tun?“, fragt sie. Sie will bleiben und im Kit Kat Club Karriere machen. Es ist eine von zwei Beziehungen im Stück, die wegen der politischen Verhältnisse zerbricht.
Die andere ist die zwischen der Zimmerwirtin Fräulein Schneider (echte Berliner Schnauze: Katrin Huke) und dem Witwer Herr Schultz (Ralf Beckord als liebenswürdig schüchterner alter Herr). Ein spätes Glück, das nur einen Haken hat: Schultz ist Jude. Für Fräulein Schneider spielt das zunächst keine Rolle. Erst als bei der Verlobungsfeier in Schultzens Obstladen Ernst Ludwig auftaucht und ein Lied anstimmt, dessen harmlos volksliedhafter Charakter nach und nach zum fanatisch rausposaunten Bekenntnis mutiert („Der morgige Tag ist mein“), wird Fräulein Schneider klar, dass ihr Eheversprechen auch eine politische Entscheidung ist.
Was würden Sie tun?
Die Verlobungsszene im Obstladen gehört zu den stärksten in der von Rosamund Gilmore inszenierten Produktion. Dass bei einer Feier Obst und Gemüse zerpflückt und verstreut wird, könnte ja auch Teil der Gaudi sein. Hier aber wird aus Spaß Ernst. Niemand greift Herrn Schultz direkt an. Doch plötzlich steht die halbe Partygesellschaft da, singt aus vollem Halse und lässt sich von einer immer offener aggressiven Stimmung mitreißen.
Anderntags löst Fräulein Schneider die Verlobung. Sie tut es nicht leichten Herzens. „Was würden Sie tun?“, fragt sie ins Publikum. Und man kann ihren Zwiespalt verstehen. Sie weiß, dass mit dieser Heirat auch Ihre Existenz auf dem Spiel steht. Die zweite Beziehung ist an den politischen Verhältnissen zerbrochen.
Luftig eingängige Songs
Dass „Cabaret“ trotz des ernsthaften Stoffes als leichtfüßiges Musical daher kommt, dessen Rahmenhandlung in einem Nachtclub spielt, ist der eigentliche Trick von Joe Masterhoff (Buch) und John Kander (Musik). Sie knüpfen damit an die Brecht-Weill- Tradition an. „Cabaret“ stammt zwar erst aus den Sechzigerjahren, aber vergleichbar mit der „Dreigroschenoper“ wird hier eine bittere, teils zynische Gesellschaftsanalyse in luftig eingängige Songs gekleidet – für die im übrigen zum Teil ebenfalls Kurt Weill und die Zwanzigerjahre Pate standen.
Gilmore lässt das Stück für sich sprechen und verzichtet auf den aktualisierenden Fingerzeig. Dass man bei Ernst Ludwigs Devisenschmuggel zu Gunsten der NSDAP unwillkürlich an die Spendenaffäre der AfD denken muss, ist von Gilmore vielleicht nicht einmal beabsichtigt. Sie konzentriert sich darauf, das Stück flüssig und unterhaltsam, aber auch nicht klamaukig auf die Bühne zu bringen.
Das Theater-Ensemble kann auch Musical
Der erste Teil des Abends zieht sich daher noch recht harmlos dahin. Dafür ist viel Gelegenheit für das rundum wunderbare Ensemble, seine Musicaltauglichkeit unter Beweis zu stellen. Das neue Ensemblemitglied Anne Simmering ist der Star des Abends – und ein echtes Singschauspieltalent. Großartig auch Ingo Biermann als Conférencier, ähnlich geschminkt wie Joel Grey in der berühmten Cabaret-Verfilmung und auch ähnlich beweglich in der Mimik.
Katrin Huke macht aus Fräulein Schneider ein Berliner Original – und singen kann sie ebenfalls. Die beiden Männer (Ralf Beckord und Arlen Konietz) reichen da nicht ganz heran, aber auch sie füllen ihre Rollen gut aus. Nettes Randdetail: Zwei der sechs Girls aus dem Kit-Kat-Club sind mit Männern besetzt (Moritz Weber-Jänichen und Patrick Miller neben Aloysia Astari, Lydia Roscher, Katharina Stehr und Nike Tiecke) und sorgen entsprechend für Heiterkeit im Publikum. Die als Damenkapelle verkleidete Band darf dabei noch etwas sicherer werden, um den nötigen Zug in die Musik zu bringen.
Dass Gilmore eigentlich vom Tanz kommt, ist allenthalben zu spüren. Die Choreografien sind mitsamt der liebevollen Ausstattung und der Kostümvielfalt (Carl Friedrich Oberle) eine große Stärke der Inszenierung. Es wäre kein Wunder wenn sich "Cabaret" zum Publikumsliebling entwickelt.
Elisabeth Schwind, Südkurier 14.4.2019