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Jacke wie Hose

Anne Simmering
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SOLO-STÜCKE
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JACKE WIE HOSE

von Manfred Karge

Theater Konstanz

Premiere 29. Februar 2020

BESETZUNG

gespielt (Rolle: Ella Gericke) und gesungen von Anne Simmering

am Klavier: Andreas Kohl

Regie: Oliver Vorwerk

dramaturgische Mitarbeit: Julia Just

szenische Mitarbeit: Stefan Eberle

musikalisches Konzept von Anne Simmering

Fotos: Michael Schrodt, Konstanz



KRITIK

Wenn sich die Frau als Mann ausgibt:  So ist „Jacke wie Hose“ am Theater Konstanz

Anne Simmering und der Pianist Andreas Kohl machen aus dem Ein-Personen-Stück von Manfred Karge ein beeindruckendes musikalisches Schauspiel.

Männer, die als Frau gehen, konnten sich noch bis vor Kurzem der Lacher sicher sein. Mit bis zum Reißen prallen Wadenmuskeln auf High Heels stöckeln und mit hohem Piepsstimmchen das Mädchen in sich entdecken. Umgekehrt scheint es meist nicht so lustig zu sein. Frauen, die sich als Mann unter Männer mischen, erleben wohl erstmal einen Schock. So lauten einschlägige Erzählungen.

Gang und Gäbe

Ella Gericke kann dazu einiges beisteuern. Dabei empört sie sich nicht, sie ist nur völlig verwundert über das, was so gang und gäbe ist in der männlichen Parallelwelt. Masturbation als Gruppen- und Kriegserlebnis. Saufen als inneres Schlachtfeld, auf dem Bier mit Schnaps und Schnaps mit Bier kämpft.

In solchen Momenten kommt auch bei Anne Simmering auf der Werkstattbühne des Konstanzer Theaters Heiterkeit auf, wenn auch verhaltene. Sie ist die Ella Gericke, die sich als ihr verstorbener Mann Max verkleiden muss, um seinen Job als Kranfahrer zu behalten. Es sind die frühen 1930er-Jahre in der Weimarer Republik, und die Weltwirtschaftskrise kennt kein Erbarmen. Manfred Karge hat mit seinem Ein-Personen-Stück einen wahren Fall aufgegriffen und 1982auf die Bühne gebracht. In der Bearbeitung von Anne Simmering in der Werkstatt des Konstanzer Theaters hat die Schauspielerin gemeinsam mit dem Musiker Andreas Kohl eine Wahrheit herausdestilliert, die über die Bedingungen des Menschseins in einer zerrissenen Welt nachdenken lässt.

Es geht nicht um Verkleidung. Die Schauspielerin trägt Hosen, Breitripp und Hosenträger, aber das ist schon alles. Lediglich wenn sich ihre Ella als Schneewittchen outet, das sich am liebsten wachküssen lassen würde, trägt sie einen roten Märchenmantel. Nur hatte sie nie Glück mit ihren Prinzen. Ihr erster war ein Hallodri, ihr zweiter, die große Liebe, ist vor der Hochzeit ertrunken, der Ehemann schließlich an Krebs gestorben. „Was nützt den Mädchen die Liebe“, heißt das Lied von Claire Waldoff, das Anne Simmering mit Wucht und ein bisschen Sarkasmus intoniert. Und weil die Zeiten so sind, wie sie sind, hat sich Ella entschlossen, ihren Mann irgendwo heimlich zu beerdigen und als Max Gericke an seinen Arbeitsplatz als Kranfahrer zurückzukehren.

Menschliches bestimmt die Tonlage

Eigentlich ist das Ein-Personen-Stück in der Werkstatt ein Zwei-Personen-Stück, denn Andreas Kohl sorgt am Klavier dafür, dass Anne Simmering ihr immenses Stimmpotenzial auch singend einsetzen kann. „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten“ – das Lied von der Loreley, immer eine gute Wahl, wenn Sehnsucht angesagt ist. Anne Simmering interpretiert es jedoch so jazzig, dass Rührseligkeit keine Chance hat. Dafür aber ein bisschen Drama sein darf, was Andreas Kohl am Klavier noch unterstreicht. Was Ella Gericke über die Jahre erlebt, ist Drama pur.

Das Menschliche bestimmt die Tonlage, das Klassenkämpferische des Stücks läuft im Hintergrund mit. Die Frau in den schwarzen Hosen eröffnet neue Perspektiven. Weil sie auf die ganze Sauferei nicht noch Eisbein hinterherschieben kann, heißt es bald: Bist wohl beschnitten, heißt womöglich nicht Max, sondern Simon Buttermilch. Dabei sind ihre Sorgen ganz andere. Sie wünscht sich ein Kind.

Wo sitzt der Feind?

Die Nazis haben längst übernommen. Wo der Feind sitzt, weiß sie trotzdem nicht. Sollte sie aber, der Krieg geht los und verlangt nach Menschenfutter. „Vielleicht fällt Regen doch von unten nach oben“, lautet eine Zeile im „Vielleichtlied“ von Brecht und Eisler. Vielleicht wird dereinst die Welt eine bessere. Effektvoll verbinden Anne Simmering und Andreas Kohl Text und Musik, Kinderliedzeilen wie „Brüderchen, komm tanz mit mir“, zu einer Collage mit vielen Brechungen. Und dann immer wieder die Frage um ihre Existenz als – wer eigentlich? Man gewöhnt sich schließlich an alles, sogar an das Gute, wie Ellas Vater sagte.

Manfred Karges Text kann sowohl sehr poetisch sein als auch sehr direkt. In kurzen Szenen zeichnet er mit Ellas Biografie Stationen deutscher Geschichte nach. Der Schauspieler, Regisseur und Bühnenautor verkörpert selbst deutsche Theatergeschichte der Nachkriegszeit. Tatsächlich wird Ella alias Max wie Treibgut durch die Geschichte gespült. Der Krieg ist aus, nicht aber die Suche Ellas nach dem, was sie ausmacht. Zumal auch jetzt die Zeiten so sind, wie sie sind. Ihre Hosenrolle geht weiter. Bis dann doch noch ein Prinz kommt, der die Wurzeln, die Schneewittchen als Manngeschlagen hat, ausreißt. Küss mir das falsche Gefühl von der Haut, singt sie. So viel Sehnsucht in so viel Stimme. Alles endet, wie es begonnen hat. Ich weiß nicht, was soll es bedeuten.

Das Premierenpublikum bedeutete immerhin: Das war ein Abend mit zwei Kunstschaffenden, die allen im Leben Umherirrenden eine eindrucksvolle Stimme verliehen haben.

Maria Schorpp, Südkurier, 03. März 2020
Anne Simmering
Jacke wie Hose

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